„Ein halbes Leben im Dienste des Kranichs“

Lufthanseat Harro Neubauer berichtet über seine Anfangsjahre bei der Deutschen Lufthansa.

Eine Erfolgsgeschichte seit 1953

Die Geschichte der Deutsche Lufthansa nach Kriegsende beginnt 1951 mit dem „Büro Bongers“ in Köln, das mit den Vorbereitungen für die Neugründung und dem Wiederaufbau der deutschen Fluggesellschaft betraut wird. 1953 ist es dann soweit, nachdem die politischen Weichen gestellt und administrative Vorarbeiten abgeschlossen sind: Die „Aktiengesellschaft für Luftverkehrsbedarf“ (Luftag) wird mit dem Stammkapital von Bund, Land, Bundesbahn und zwei Privatpersonen am 6. Januar 1953 in Köln feierlich gegründet. Der Startschuss für ein zweites Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte ist gefallen. Die Gründungsväter Diplom-Kaufmann Hans M. Bongers (1898-1981), ehemaliger Verkehrsleiter der Lufthansa und der Maschinenbau-Ingenieur Gerhard Höltje (1907-1994) werden in den Vorstand der Luftag berufen. Im August 1954 erfolgt die Umbenennung in „Deutsche Lufthansa AG“, im November landen die ersten neuen Maschinen (Convair CV 340) in den Traditionsfarben Blau und Gelb auf dem Hamburger Flughafen in Fuhlsbüttel, mit dem ein langjähriger Pachtvertrag abgeschlossen wird und eine neue Werft- und Technikhalle entsteht. Moderne Langstrecken-Maschinen von Lockheed sind auch schon bestellt: Die viermotorige „Super Constellation“ mit Platz für 109 Passagiere und einer Reichweite von über 8.000 Kilometer wird das neue Flagschiff in der Flotte der Lufthansa. Bis zum Jahresende ’53 sind knapp 600 Mitarbeiter bei der Deutschen Lufthansa AG beschäftigt. 

Lufthansa Technik-Vorstand Gerhard Höltje, 60-ziger Jahre

Im Zeichen des Kranichs – Wie ein Phönix aus der Asche 

Der Erstflug mit einer Convair CV 340 erfolgt am 1. April 1955 von Hamburg über Düsseldorf und Frankfurt nach München. Schon im Mai werden die ersten europäischen Ziele ins Streckennetz der Deutschen Lufthansa aufgenommen, im Juni erfolgt Transatlantikflug Nummer Eins mit der neuen „Connie“ von Hamburg nach New York. Die Lufthansa wirbt um Kunden mit dem Slogan: Wieder zu Ihren Diensten! Das erste Dienstjahr wird ein voller Erfolg: 104.000 Passagiere und 1.500 Tonnen Fracht und Post werden befördert.

„Stolz, ein Lufthanseat zu sein!“

Die Lufthansa wächst rasant mit ihrem größer werdenden Streckennetz und braucht dringend neue Mitarbeiter. Gesucht werden Flugzeugbesatzungen, Techniker und Bodenpersonal sowie Kaufleute. Eine neue und dreijährige Ausbildung zum Luftverkehrskaufmann/frau soll junge Schulabgänger für eine Karriere im Unternehmen vorbereiten und in allen kaufmännischen Belangen des Airlines-Business umfassend qualifizieren. Das ist das Startzeichen für Harro Neubauer, Jahrgang 1940, der sich bei der Deutschen Lufthansa bewirbt und einen Lehrvertrag erhält! Mit dem 1. April 1957 beginnt für den jungen Mann aus Hamburg „seine“ Lufthansa-Zeit. Die Personalnummer für Lehrling Neubauer lautet 3585. Das ist zugleich der aktuelle Personalbestand bei der Deutschen Lufthansa.

Harro Neubauer im Lufthansa Stadtbüro, Anfang 60-ziger Jahre

„Es war klar, dass ich etwas mit Reisen zu tun haben möchte. Ich wollte etwas Praktisches machen und Geld verdienen. Zur Auswahl standen entweder eine Schiffsreederei als Makler, eine Spedition oder die Deutsche Bahn“, so Harro Neubauer, „und plötzlich kramt der Berufsberater in seinem Aktenschrank herum und zieht eine Karteikarte heraus mit der Bemerkung, dass es ja auch noch die neue Lufthansa gibt, die händeringend junge Kaufleute für eine Ausbildung sucht! So habe ich im Personalbüro der Lufthansa angerufen und auch schnell ein Vorstellungsgespräch am Flughafen bekommen. Mein Schulzeugnis war ganz in Ordnung, aber ich glaube, dadurch das mein Vater als Flieger im Krieg 1945 vermisst wurde, fanden auch solche sozialen Aspekte eine gewisse Berücksichtigung. Ich wurde als Lehrling der Deutschen Lufthansa in Hamburg 1957 eingestellt.“

Das Streckennetz der Deutschen Lufthansa umfasst im April 1957 weltweit 58.000 Kilometer. Es gibt 150 Starts und Landungen täglich, 20 Städte in 18 Ländern werden angesteuert. Laut Lufthansa Flugplan von 1956 kostet ein Erste-Klasse-Ticket Hin- und Rückflug von Hamburg nach Buenos Aires 5.618 Deutsche Mark. Ein stolzer Preis für die damaligen Verhältnisse.

Drei Jahre Lehrlingszeit

„Am zweiten Ausbildungstag mußte ich von einem Gebäude zum anderen am Flughafen Flugzeugreifen rollen und sauber machen, mit dem Wasserschlauch! Zufälligerweise kam der Vorstandschef Bongers in dieser Warenannahme vorbei, um den Leiter zu sprechen. Ich wurde kurz vorgestellt und Herr Bongers gab mir einen kräftigen Händedruck mit den besten Wünschen für die Ausbildungszeit. Das „familiäre“ Miteinander und die sehr motivierte Mannschaft haben mich mein ganzes Berufsleben über geprägt. Wir waren in der Berufsschule am Holstenwall und hatten internen Unterricht in einer Baracke direkt am Flugfeld, in der auch die Kantine untergebracht war. Auf der anderen Seite des Zaunes gab es noch die sogenannten „Nissen-Hütten“, eine Art Wellblech-Hütten für Kriegsflüchtlinge. Man muss sich den Hamburger Flughafen zu der Zeit natürlich viel kleiner vorstellen. Besonders starke Sicherheitsvorkehrungen wie heute gab es nicht. Ein Holzzaun um das Flughafengelände genügte als Absperrung. Dort standen dann Besucher und Flugzeug-Begeisterte, um die recht lauten Maschinen und Motoren zu bestaunen und in die Lüfte steigen zu sehen.“

Das erste Gehalt wird noch in Bar ausgezahlt und in einer Papiertüte überreicht! Die Hauptkasse am Hamburger Flughafen übergibt Lehrling Harro Neubauer die bescheidene Summe von Brutto 310 Deutsche Mark. Damit sind noch keine allzu große Luftsprünge zu machen. Von dem ersten gesparten Geld kauft sich der junge Mann ein Tonbandgerät der Marke GRUNDIG. Dafür darf Lufthansa-Lehrling Neubauer zu besonders günstigen Tarifen fliegen. An seinen ersten Flug erinnert er sich nicht mehr genau. Wahrscheinlich zu einem Besuch nach Köln zur Hauptverwaltung der Deutschen Lufthansa. Harro Neubauer ist glücklich und dankbar, dass er seinem Ziel – die weite Welt zu sehen und kennen zu lernen – näher kommt. 

Die dreijährige Ausbildungszeit bei der neuen Deutschen Lufthansa führt Harro Neubauer und die anderen angehenden Luftverkehrskaufleute durch die verschiedenen Stationen am Flughafen und den Verkaufsbüros. Wareneingang und Logistik, Dokumentation, Finanzen, kaufmännische Abwicklung und Buchhaltung, Werbung, Flugscheinberechnungen, Frachtverkehr und Speditionswesen, Sicherheit und Service, Ticketschalter und natürlich allgemeine Luftverkehrskunde stehen auf dem anspruchsvollen Lehrplan. Es wird viel gebüffelt und gerechnet, die internationale Luftverkehrssprache Englisch wird verbessert und Geografiekenntnisse geschult.

„Die Ausbildung und Arbeit bei der Lufthansa war mit großer Disziplin verbunden. Luftverkehr ist keine leichtfertige Sache. Ich muss sagen, dass ich davon mein ganzes Leben profitiert habe. Natürlich hat sich das Geschäft über die Jahre sehr stark entwickelt und verbessert. In meinen Anfangsjahren haben wir ja die Tickets und Flugscheine für die Passagiere noch mit der Hand ausgefüllt! Mit dem wachsenden internationalem Luftverkehr der Lufthansa wurde auch der gesamte Bordservice verbessert. Es gab Flüge, bei denen der Chefkoch persönlich an Bord war und mit seinem Team aus Stewardessen die Menus zubereitet und serviert hat. Das war natürlich etwas ganz Exklusives. Fliegen war ja teuer und ich würde sagen, dass in der Hauptsache Geschäftsreisende die Lufthansa genutzt haben. Das Massen-Phänomen „Tourismus“, wie wir es heute kennen, gab es einfach noch nicht. Es gab auch nicht diese langwierigen Personen- und Sicherheitskontrollen. Die Passagiere gingen zum Check-In Schalter, bekamen eine Bordkarte und gingen zu Fuß zum Flugzeug. Das Gewicht der Koffer wurde kontrolliert.“

Dass die Luftfahrt und das Fliegen nicht immer risikofrei funktionieren, zeigt ein erstes großes Flugzeug-Unglück einer Lufthansa „Super Constellation“ beim Anflug auf den Flughafen von Rio de Janeiro in Brasilien am 11. Januar 1959. An Bord von LH 502 sterben 36 Menschen, drei Überlebende können aus den Trümmern geborgen werden. „Bei der Abfertigung des Fluges in Hamburg ein paar Stunden zuvor, hatte ich Dienst am Check-In Schalter und hatte persönlichen Kontakt zu den reisenden Passagieren, das war natürlich ein Schock“, so Harro Neubauer, „die gerettete Stewardess wurde dann etwas später meine Kollegin im Hamburger Lufthansabüro.“

Eine schöne alte Ansichtskarte, mit Sicherheit 20ziger Jahre

„Ich bin in den Anfangsjahren noch mit alten DC-3 Flugzeugen und Vickers Viscount mitgeflogen, so dass man nicht nur einmal ordentlich durchgeschüttelt wurde. In Erinnerung ist auch ein privater Flug mit meinem Bruder zusammen von Bremen nach Hamburg, der von München und Düsseldorf kam und die Service-Mitarbeiterin am Schalter sagte, dass sie schnell mal im Cockpit Bescheid gibt, damit die Maschine hier in Bremen zwischenlandet. Wir waren die einzigen Fluggäste in Bremen, die zusteigen wollten. Ansonsten wäre die Maschine einfach ohne Zwischenstop in Bremen weitergeflogen.“ So etwas nennt man heutzutage eine gelungene „hands-on“ Mentalität.

Hamburg und die Deutsche Lufthansa: Das ist wie Hummel Hummel – Mors Mors!

Als die Lufthansa 1955 den Flugverkehr aufnahm, wurden zunächst in den großen deutschen Städten, dann in Europa und den wichtigen Metropolen dieser Welt, die Lufthansa anflog, eigene Lufthansa Verkaufsbüros eröffnet. Die Lufthansa mit ihren Blau-Gelben Farben wurde schnell zum Markenzeichen und für Jedermann sichtbar. Harro Neubauer beendet seine Lehrzeit mit dem Abschluss seines Kaufmannsbriefes 1960 und arbeitet fortan in dem Lufthansa Verkaufsbüro in der Nähe vom Ballin-Haus (ein berühmter Hamburger Reeder) an der Binnenalster. Eine bis heute vornehme Hamburger Adresse. Mit einigen der acht Lehrlings-Kollegen wird Harro Neubauer eine lebenslange Freundschaft verbinden. Zu einem Jahrestreffen aller „LVKs“ lädt die Deutsche Lufthansa im Jubiläumsjahr 2007 zu einem großen Fest in die Frankfurter Sportarena ein. Tradition verbindet!

Die nächsten zwei Jahre arbeitet Harro Neubauer am Lufthansa „Service-Schalter“ im Flughafen und im Hamburger Stadtbüro beim Ticketverkauf und in den Bereichen Reservierung und Kundenbetreuung. Wichtigstes Kommunikations-Instrument zu der damaligen Zeit sind die Fernschreiber. Abfragen über Flugverbindungen und Preise, Umbuchungen oder Stornierungen, Zusammenarbeit mit anderen Airlines und den dazugehörigen IATA -Standards, aber auch weltweite Koffersuche gehören zum Alltag. Die Arbeit macht große Freude und neue Herausforderungen warten. Neue Kollegen kommen hinzu, Kontakte werden geknüpft. Interne Schulungen und Weiterbildungskurse nutzt Neubauer in dieser Zeit. „Die IATA war ja früher ein mächtiges Kartell gewesen mit festen Preisen für die Airlines. Es gab weltweit Kontrollen, ob zum Beispiel in einem Verkaufsbüro Rabatte auf Ticketpreise eingeräumt wurden. Dann gab es saftige Strafen für die Fluggesellschaften!“

1960 ist auch das Jahr, in dem das erste Düsenflugzeug bei der Lufthansa ihren Dienst aufnimmt und im Linienverkehr eingesetzt wird. Eine der damals modernsten Flugzeuge der Welt: Die Boeing 707, die nicht nur mehr Passagiere und Fracht befördert als Propellermaschinen, sondern wesentlich größere Strecken und Ziele ansteuern kann, kommt bei der Deutschen Lufthansa zum Einsatz. 

Die Lufthansa baut weltweit ihr Streckennetz weiter aus und etabliert mehr und mehr Frankfurt als deutsche“ Drehscheibe“. Am 29.3.1960 wird die größte und modernste Flugzeughalle von Europa – genannt „Schmetterlingshalle“ – am Frankfurter Flughafen feierlich eingeweiht. Ab 1961 ergänzt die Boeing 720 B, eine kleinere Version der Boeing 707, die Lufthansa-Flotte. 1964 wird der zehn-millionste Lufthansa-Passagier in Stuttgart begrüßt und die Kranich-Airline gibt stolz bekannt, dass sie erstmalig aus den „roten Zahlen“ heraus gekommen ist.

Afrika und Nahost – Eine andere Welt

4 v.l. Lufthansa Afrika-Direktor F.W. von Mellenthin diente schon im Generalstab von Rommel in der Wüste, Khartoum 1962

„Mein großer Wunsch war es, für die Lufthansa im Ausland zu arbeiten. So ergab sich Mitte 1962 die Gelegenheit, für drei Monate in Khartoum im Sudan für den Aufbau eines Passage -Büros eingesetzt zu werden. Eine Lufthansa-Kollegin in der Schulungsabteilung hat mir damals sehr geholfen und mich für diesen Job vorgeschlagen. Khartoum wurde von der Lufthansa neu angeflogen. Am 14.Mai 1962 war ich Passagier auf dem Erstflug LH 700 mit einer Boeing 720B von Frankfurt über Athen nach Khartoum weiter nach Nairobi und Zielflughafen Johannesburg in Südafrika. Meine erste Afrika-Reise überhaupt. Die Kabinentüren wurden geöffnet und es strömte schlagartig eine gewaltige Hitzewelle herein. Ich hatte als „Afrika-Neuling“ das Gefühl, als ob ich gegen eine Wand laufe. An das heiße Wüsten-Klima hat man sich aber dann doch relativ schnell gewöhnt, so dass die Arbeit gut funktionierte. Zu meinem Aufgabengebiet gehörten die Berechnung von Flugpreisen, Ausstellung von Flugscheinen, Durchführung von Buchungen, Buchhaltung sowie die Betreuung der Kunden. Wir haben auch Personalgespräche mit „locals“ geführt und erste Kurse und Mitarbeiterschulungen organisiert. Am Flughafen von Khartoum war ständig ein deutscher Mitarbeiter als Techniker für die Flugzeugkontrolle stationiert. In den Nächten hat man kurzerhand die Betten ins Freie gestellt, Klimaanlagen waren noch nicht so weit verbreitet. Der Afrika-Direktor der Lufthansa war übrigens der ehemalige General Friedrich Wilhelm von Mellenthin, der schon im Afrikakorps unter Rommel gedient hatte. Interessant ist auch noch, dass es weltweit keine Flüge am ersten Tag eines neuen Jahres gab, stellen Sie sich das einmal heute vor!“

Gesund kommt Harro Neubauer Mitte 1962 aus dem Sudan zurück nach Deutschland und hat eine neue „Dienststelle“ in Hannover als Vertreter des Passageleiters. „Unser Lufthansabüro befand sich im vornehmen „Luisenhof“ in der Nähe des Bahnhofs. Weitere Fluggesellschaften mit einladenden Repräsentanzen zeigten ebenso Flagge: KLM, PAN AM und die BEA waren unsere Nachbarn. Das Geschäft lief besonders zu den großen Messe-Events in Hannover ziemlich auf Hochtouren.“ Während der nächsten fünf Jahre durchläuft der junge Lufthanseat verschiedene Positionen und reist dienstlich zu verschiedenen Lufthansabüros und Verkaufstagungen im Ausland. Er wird von der Lufthansa und seinen damaligen Vorgesetzten unterstützt und gefördert. Ende 1964 fliegt Harro Neubauer mit der Alitalia über Rom, Bombay und Darwin nach Sydney in Australien. „Interessant ist übrigens auch, dass es zu dieser Zeit weltweit keine Flüge am 1. Januar gab,“ so Neubauer. 1964 ist auch das Jahr, in dem die dreimotorigen Boeing 727 erstmalig als moderne Mittelstreckenflugzeuge bei der Lufthansa zum Einsatz kommen und große Rechenanlagen für die elektronische Datenverarbreitung den Betrieb aufnehmen.

1965 – Ein besonderes Lufthansa Jahr 

Die Lufthansa Direktion Fernost ist mit einer „Expertengruppe“ beauftragt, die administrativen Vorarbeiten und den Aufbau der Verkaufsbüros in Australien zu organisieren. Drei Monate bleibt Lufthansa-Mitarbeiter Neubauer in „down under“ und entdeckt den großen Kontinent. „Die herzliche Willkommenskultur und Gastfreundschaft uns gegenüber mit der quasi zweiten Nationalhymne „Waltzing Matilda“ sind mir noch gut im Gedächtnis.“ Der Lufthansa-Erstflug von Frankfurt nach Sydney findet am 1. April 1965 mit einer Boeing 707 (?), Kennung XYZ und Flugnummer LH 690 erfolgreich statt. Im innerdeutschen Luftverkehr gibt es 1965 für die Deutsche Lufthansa auch noch einen Erfolg zu verbuchen: Mehr als eine Million beförderte Fluggäste. Um die gestiegene Nachfrage auch in Zukunft wirtschaftlich zu meistern, gibt die deutsche Airline eine Großbestellung an Boeing in Seattle in Auftrag: 21 Boeing 737 werden geordert. Zudem fällt in diesen Zeitraum die Entscheidung, das Erscheinungsbild der Fluggesellschaft zu verändern: Aus den markigen Großbuchstaben wird ein kompakter Schriftzug in Kleinschriftweise, die Parabel am Leitwerk wird gegen den Kreis getauscht. 1966 wird die Lufthansa Service GmbH (LSG) als Tochterunternehmen gegründet und der Gesamtumsatz des Lufthansa Konzerns erreicht die Milliardengrenze. Die Flotte besteht nun aus 31 Düsenflugzeugen und 23 Propellermaschinen.

Drei Jahre Libanon und Nahost

1967 ist es dann soweit: Harro Neubauer wird für die Deutsche Lufthansa in den Nahen Osten geschickt und arbeitet drei Jahre in Beirut, Libanon als Assistent des Verkaufsleiter und als Passageleiter Nahost. „Beirut galt schon immer als das Paris des Orients und hatte einen ganz besonderen Charme und viele Sehenswürdigkeiten zu bieten. Ich hatte einen sehr angenehmen Chef, mit dem ich sehr gerne und vertrauensvoll zusammen gearbeitet habe. Lufthansa Direktor Nahost war Hans Ebeling, der spätere Chef für ganz Afrika und Nahost. Reisen in alle arabischen Länder zur fachlichen Aufsicht aller LH-Büros gehören auch zu Neubauers Aufgabengebiet. Ich hatte allerdings auch die etwas undankbare Aufgabe, die Monatsberichte der Bezirksdirektion Nahost zu verfassen.“ Der Auslandsaufenthalt ist nicht nur eine kulturelle Bereicherung für den 27-jährigen Neubauer, sondern bringt auch eine finanzielle Verbesserung. Allerdings wird im Zuge einer organisatorischen Umstrukturierung der Lufthansa die Nahost Direktion 1970 von Beirut nach Frankfurt verlegt. Es heißt erst einmal Abschied zu nehmen aus dem Land mit dem Zedern-Baum. Harro Neubauer arbeitet nun die nächsten Jahre als Passageleiter Nahost/Nordafrika an der großen Lufthansa-Basis am Frankfurter Flughafen und in der nahen Bürostadt Niederrad. 

Die Großraumflugzeuge kommen  – Airbus Gründung, Jumbo-Jet und Co.

1970 ist auch das Jahr, in dem sich die letzten Propeller-Flugzeuge langsam aus dem Linienverkehr der Deutschen Lufthansa (letzter Flug einer Vickers Viscount 814 Ende März 1971) verabschieden und neue Großraummaschinen zum Einsatz kommen: Die erste Boeing 747 für die Deutsche Lufthansa landet in Hamburg-Fuhlsbüttel am 30. März 1970. Die amerikanischen Flugzeughersteller bekommen Konkurrenz: 1970 ist das Gründungsjahr der europäische Flugzeugallianz Airbus Industries.

„In dieser aufregenden Luftverkehrs-Zeit mit einem stetig wachsenden Passagier- und Frachtaufkommen, vielen Modernisierungen und Erneuerungen im technischen Sinne sowie wirtschaftlich stabileren Volkswirtschaften – mit einer anspruchsvolleren Klientel und Kundschaft, hat sich natürlich auch der Preis- und Konkurrenzdruck auf die einzelnen Fluggesellschaften erhöht. Neben dem relativ privilegiertem Geschäftskundenverkehr etablierte sich ein neuer Markt, der bedient werden wollte: Das Tourismusgeschäft.

Natürlich kommt hinzu, dass in dieser Zeit auch das individuelle und gesellschaftliche Bewusstsein für eine gesunde Umwelt eine immer größere Rolle spielte, neben all den anderen spannenden, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen – 68er Generation, Hippie-Bewegung und Woodstock, Ost-West-Problematik. Die Lufthansa hat natürlich auch nach Lösungen gesucht, wie man einen wirtschaftlich stark wachsenden Markt in Einklang mit einem verantwortungsvolleren und schonenderen Umgang für Mensch und Natur bringen kann. Die deutsche Politik war ja bis dato der Lufthansa und ihren Forderungen quasi blind gefolgt. Nach dem Motto: Alles was gut für die Lufthansa ist, wird gemacht und ist gut für Deutschland.“ 

Erstflug nach Kairo mit der neugegründeten Lufthansa ist der 3.11.1958 und einer Super Constellation. Bild: Deutsche Lufthansa

Ägypten und die Lufthansa – eine gute Verbindung

Harro Neubauer erfährt von der Deutschen Lufthansa Mitte 1987 eine besondere Ehrung für seine bisherige Arbeit im Lufthansa Konzern und wird nach Seeheim-Jugendheim südlich von Frankfurt ins Lufthansa Schulungs-Center geschickt: Er wird einer von 21 Teilnehmern an dem 45. Lufthansa Führungsseminar. Zugleich wird er mit der Aufgabe betraut, als Länderrepräsentant und Verkaufsleiter in Kairo, Ägypten für die Deutsche Lufthansa zu arbeiten. Diese große Herausforderung nimmt er gerne an und leitet das Lufthansa Geschäft in Ägypten für die nächsten fünf Jahre erfolgreich. Ägypten wird lange Jahre von Frankfurt und von München direkt angeflogen, zeitweise neben Kairo und Alexandria auch Luxor. „Mit meinen Erfahrungen der arabischen Länder kam ich gut mit der doch anderen Mentalität zurecht und hatte ein genügend hohes Maß an Gelassenheit mit bestimmten Umständen oder Situationen umzugehen. Der Mitarbeiterstab in Ägypten umfasste zu bestimmten Stoßzeiten fast 170 Lufthanseaten. Die Kolleginnen und Kollegen an den verschiedenen Stationen und Verkaufsbüros waren alle hochmotiviert und sehr engagiert, so dass unsere Jahresergebnisse sehr gut waren. In dieser Zeit sind viele Freundschaften gewachsen, die bis heute anhalten und ich immer wieder in Kairo und Ägypten zu Gast bin, das letzte Mal 2018.“

„30 Years Egypt – Lufthansa“, Harro Neubauer mit seiner Sekretärin im Lufthansa Büro in Zamalek, Kairo, 1988

In Deutschland zurück widmet sich Harro Neubauer dem Aufbau der „Lufthansa City Center“ an verantwortlicher Position und reicht gleichzeitig einen neuen Versetzungsantrag bei der Direktion für eine Auslandsverwendung ein. Leider erfüllt sich dieser Wunsch nicht mehr. Die McKinseys und andere Berater-Meister dieser Welt haben mittlerweile den Lufthansa Konzern fest im Griff und „strukturieren“ fleissig um. Da sagt sich Lufthanseat Harro Neubauer, „dass könnt ihr ohne mich viel besser“ und verabschiedet sich nach 41 Jahren Betriebszugehörigkeit in den Ruhestand. „Man hört eigentlich nie ganz auf, sich als Lufthanseat zu fühlen, zumindest geht es mir so. Mit anderen Lufthansa-Experten zusammen wird 1998 noch flugs der „Nahost-Afrika-Stammtisch“ in Frankfurt gegründet, der im Januar 2020 sein 250. Treffen gefeiert hat. „Hin und wieder verirrt sich sogar ein aktiver Lufthanseat bei uns, aber das kommt doch eher selten vor. Wir sind natürlich etwas aus dem modernen und hochkomplexen daily business der Lufthansa heraus, aber pflegen unsere Kontakte und Erfahrungen. Übrigens, auch der Zusammenhalt der „45er“, der Führungskurs-Lehrgang, besteht weiterhin: Jährliche Treffen und gemeinsame Reisen der mittlerweile meist pensionierten Lufthanseaten unterstreichen die große Bindung untereinander und die Verbundenheit zum Lufthansa Konzern. Eine gute Sache. Das ist doch einfach wichtig im Leben.“ Und die Lufthansa? Aus einer doch überschaubaren Zahl von 3.585 Lufthanseaten im April 1957 ist mittlerweile ein weltweites Konzern-Gefüge mit annähernd 140.000 Mitarbeitern geworden. 

Quellen:

– „Die Geschichte der Deutschen Lufthansa“, April 1980, Lufthansa-Publikation

– „Das LVK Buch 1957-2007“, Juni 2007, Lufthansa-Publikation

– „Der Lufthanseat April 1957, Nummer 11“

– www.whoswho.de

– www Recherchen

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One thought on “„Ein halbes Leben im Dienste des Kranichs“

  1. Jetzt kennen wir endlich die Laufbahn von Harro Neubauer. Die äusserliche Ähnlichkeit ist frappierend!

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