oder: Wer documenta will, muss leiden. Alle fünf Jahre also wieder und das Ganze dann wieder in Kassel, der seltsamen Stadt in Nordhessen. Haben sich die Verantwortlichen also wieder viele Gedanken gemacht, die Besucher aus aller Welt zu überraschen und zu irritieren. Darf man sich wundern, darf man den Kopf schütteln, darf man Weglaufen wollen, wird man mir womöglich noch versteckten Neid zum Vorwurf machen?
Kleine Vorbemerkung: Ich schätze, ich habe noch nie einen so konfusen, ausdruckslosen Text hinbekommen… das muss an der vielen Kunst liegen, oder wirklich an mir. Gibt es etwas Angenehmeres als über Kunst zu schreiben, Fragezeichen? Ja!! Nicht über Kunst schreiben. Und dennoch, ich probier‘ mich mal in bestem documenta-Deutsch und Kreativ-Schreibe. Eine Annäherung, eine Aufarbeitung, ein Akt der Verzweiflung.
…und immer wieder der ständige Gedanke als Begleiter: Wieso in Herrgottsteufelsnamen bin ich nicht darauf gekommen? Ich meine natürlich die vielen, beeindruckenden Exponate, die es hier zu sehen gibt.
Ein Regenwochenende macht die Sache leider auch nicht besser, wenn man von einem Ort zum nächsten unterwegs ist, läuft, läuft, läuft. Wo man auch hinkommt, Menschenmassen, die sich traubenhaft, verzweifelt fragend vor den „Kunstwerken“ sammeln und sich Erklärungen liefern. Darum geht es ja: Kunst soll anregen, soll das Runde Ding auf den Schultern in Bewegung versetzen. Das ist mit Sicherheit der geballten Kunstelite-Führung auch mal wieder geglückt, da ist er, der Wille!
So einfallslos, lieblos und Gähn-Langweilig war es bestimmt noch nicht, denke ich. Dafür umso chaotischer, es gibt bestimmt eine tiefgründige Botschaft, bestimmt, vielleicht aber auch: „Es gibt keine Botschaft!“ Hauptsache dümmlich: Wenn maximal zum Verweilen eingeladen wird, ein paar bunte verschnürrte Bündel auf dem Boden zu bestaunen, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Wenn dass das Ergebnis nach fünf Jahren Abwesenheit ist, kann man den Veranstaltern nur gratulieren und zurufen: „Juhu, wir haben auf Euch mit Euren sensationellen Ideen gewartet, wir haben gar nicht gewusst, wie wir Euch vermisst haben!“
Nur locker platzierte Mobiltelefone auf den wie auch immer gearteten Beuteln auf der Erde im Fridericianum hätten den „Kunstwerken“ eine noch GRÖSSERE Bedeutung gegeben und hätten die Dualität von vielleicht Aufbruch, Wirklichkeit und Fremde, Sehnsucht und Heimat besser darstellen können!!! Wow. Beeindruckende Leistung.
Im Museum für Sepulkralkultur (! Was ist DAS bitte schön?) dann das absolute „Highlight“: Bleistiftzeichnung von einem Mann mit Hund. Großflächiges Weiß, dünner Strich, es ist, wie es ist: Eine amateurhafte Studienarbeit erstes Semester Kunsthochschule, wahrscheinlich kurz vor den Semesterferien! Nein, eigentlich das auch nicht, vielleicht ist es aus einer Bewerbungsmappe für eine Kunsthochschule geklaut, wer weiß. Und hier bei der documenta!? Wow! Bitte schön. Der Künstler oder die Künstlerin, ein gemachter Mann oder eine Frau.
Dauerscheiß-Thema: Flucht und Flüchtlinge, wie kann es anders sein. Politisch muss doch so ne Ausstellung sein, logisch! Armut und Vertreibung, Apokalyptische Zustände, Weltuntergang, Verzweiflung, Tod, ein bisschen Hoffnung muss auch dabei sein. Videoinstallationen, langweiliger wie nie zuvor: Eine Frau, die vor einem Panzer wegläuft. Okay, Minutenlang. Was soll mir das sagen? Ich bin ein absoluter Laie und verstehe nichts von Kunst, ich muss es auch nicht. Aber ich denke: Kein Mensch braucht das, keiner! Nein, nicht ganz, eine Handvoll Kunstexperten freuen sich daran.
Den Vogel schießt mit Sicherheit eine Serie kleinformatiger Fotografien ab: Auf den Fotos sieht man Personen, die vor Bildern stehen und genau das tun: Sich wundern! Ratlose Blicke und leere Gesichtsausdrücke. Ganz wunderbar. Besonders einfallsreich ist auch der oder die Künstlerin, die mit einer blauen Leuchtschnur das Wort „Perspektive“ auf eine dunkle Naturlandschaft wirft! Sehr sinnig. Kommentar: „Wenigstens die weißen Stromkabel hätte man dann doch hinter das Bild legen können, oder? Anstatt sie vor dem Bild herunterbaumeln zu lassen…“
Hier und Da ein Lichtblick für den überforderten Besucher! Zum Beispiel im Stadtmuseum Kassel, 3. Stock: Ein Raum, in dem jeweils in den vier Ecken Plastikspiel-Maschinenpistolen auffordern, eine Person in der Mitte des Raumes ins Visier zu nehmen. Als Erläuterung wird genannt, es würde sich etwas im optischen Zielfernrohr auftun, aber passieren tut nichts. macht nichts. Das nenne ich doch einmal Interaktion zwischen Kunst und Betrachter. So soll es sein. Kann Kunst nicht einfach nur gefallen? Gefallen kommt von Gefälligkeit, oder andersherum. Egal. Für jeden ist etwas auf der diesjährigen documenta in Kassel dabei, zum Beispiel auch riesige rote Knot-Konstruktionen, die von der 15 Meter hohen Decke in der Documenta Halle herabbaumeln.
Halbemotionale Halbzeitbilanz
Bei so etwas einfacher gestrickten normalsterblichen Alltagsmenschen ohne dreifachen Hochschulabschluss und Doktortitel wie mir lässt mich diese Art von Kunst alleine, bleibt mir verschlossen, rätselhaft fremd. Aber wahrscheinlich geht es auch gar nicht anders, denn das einzige was sich hier bewegt, in einer endlosen Schleife, ist der selbstgefällige, abgehobene Kunstbetrieb, der sich in seinem elitären Zirkel selber zelebriert und in seine hochgeistigen Einzelteile zerlegt, eine aufdringliche Distanz zum Besucher schafft. Hä? Widerspruch? Ja klar, denn nichts ist so auffällig überflüssig, wie der eigene Anspruch, etwas bewegen und Öffentlichkeit zu wollen, große Themen aufarbeiten zu wollen und dann doch keine oder zumindest kaum wertvolle und wahrnehmbare Ideen im wahrsten Sinne des Worte in den Raum zu schmeißen. Die Kunst hier hat nichts Verbindliches, bleibt schemenhaft und sehr sehr sehr „gewollt“! Immer wieder schön natürlich Lenins Ausspruch: Die Kunst gehört dem Volk! Bei dieser Art von Kunst bleibe ich aber doch lieber draußen. Wie hat der große Romanschreiber Ken Kesey wunderschön und sehr passend sein zweites und zugleich letztes Werk genannt: Sometimes a great notion! Manchmal ein großes Verlangen.
Nein, nein, nein – Jetzt aber erst recht!
Bei all dem Getümmel haben mir (und uns, eine Gruppe von sechs Personen!) aber dennoch einige Sachen gefallen, so wie ich hier stehe, ich muss nicht groß nachdenken, ich kann genießen, ich bekomme eine wie auch immer geartete Inspiration, habe gute, positive Gedanken! Es spricht mich an. Das großformatige Bild eines griechischen Künstlers von Personen und Figuren in einem ikonenhaften Malstil , großartig, eine Spiegelkonstruktion auf dem Boden, Publikumsmagnet „Bücher-Akropolis“ vielleicht auch.
Über all dem schwebt leider aber auch der offizielle Ausstellungskatalog: So schwülstig-schwer, sinnlos-verschachtelt hier von der Kunst und den Ideen, Orten und Künstlern (w/m) lamentiert wird, ist kaum mit normalem Menschenverstand zu verstehen. Lasst den mal lieber weg, ihr lieben Kassel-Besucher! Wobei, dann entgeht Euch auch wieder was!
Genug geschwafelt, auf zur Kunst, auf nach Kassel!