Massenphänomen Massenspektakel

Für die einen die protzigste und proletenhafteste Stadt der Welt (Minimum-Statussymbol: Mercedes Benz G-Modell, 12 Zylinder, 560 PS), für die anderen „für’s Leben gerne Stuttgarter“ (Lokale Bierwerbung!). Irgendwo zwischen diesen Polen vermag es auch noch andere Ansichten in unterschiedlichen Grautönen geben. Orientierungsaufgabe und Herausforderung zugleich für jeden Neu-Stuttgarter.

Da ist zunächst die allgemeine Freude an Gemeinschaft und Dazugehörigkeitsgefühl, Identität und Heimat. Das Heimelige. Ist ja im Fussball auch nicht anders, wenn Massen völkerwanderungs- und generalstabsmäßig zu den Orten ihrer Leidenschaft pilgern oder umherirren.

Ein Versuch der Annäherung

Kann mir das irgend jemand objektiv (oder auch subjektiv) erklären? Welche Sehnsucht treibt hunderttausende Menschen im Dauertempo und Dauerstress durch die unzähligen Straßenfeste, Heimatfeiern oder Festivals an, mit ihrer Gegenwart das Zusammenleben zu beglücken? Ich habe keine Erklärung, aber lasse mich gerne schlau machen. In Stuttgart, landaufwärts -abwärts strömen schmerzfreie und sinnentleerte Menschenmassen eng an eng gequetscht durch enge Gassen und Plätze von einem Saufstand zur nächsten Freßbude und zurück… Ohrenbetäubend laute, dümmliche Dezibelbelästigungen von schlechten Amateurmusikern, Besoffene soweit das Auge reicht, Geschrei, hysterisches Gegackere und hilfloses Gegaukel. Aus der Gosse, für die Gosse. Ist das einfach nur Geselligkeit, Happiness oder die neue Erlebniskultur? Diese Feierwut hat für mich etwas Bedrohliches, dieses Zusammenrotten etwas latent aggressives oder sogar depressives. SPASSGESELLSCHAFT! Im Wochenwechsel nun Europaviertelfest, Heusteigviertelfest, Bohnenviertelfest, Henkersfest, Schlossgartenfest, Dokufilmfest, Jazz Open, Hamburgs Fischmarkt auf dem Karlsplatz, CSD, Lichterfest Killesberg, Kurzfilmfest, Weindorf-Fest am Rathausplatz, Festival der Kulturen, Wasen, Frühlingsfest, Weihnachtsmarkt hier und dort in Stuttgart (! ein paar weitere „Straßenfeste“ fehlen bestimmt noch in der Aufzählung…) und dazwischen im Sommer noch diverse Massenveranstaltungen zur Freude der geldgierigen Organisatoren. Southside Festival, Rock am Ring, Wacken und andere Spektakel machen uns das Leben schöner. Kleine, kritische Frage: „Bisschen sehr inflationär, oder?“

Eine Gesellschaft im Dauer-Rausch. Welcome & Enjoy! Irgendwie bleibe ich ratlos zurück.

„Wir brauchen Erfahrung, nicht Erlebnisse!“ So mein Galerist kopfschüttelnd und ebenfalls ratlos zu dem oben beschriebenen Phänomen etwas philosophischer.

Deutsche Gemütlichkeit. Darf man es dennoch gruselig finden?

Jim Rakete hat einmal über „Stars“ gesagt: Ein Star ist einer, der seine Bedeutung durch Abstand und notorisch gehütetes Geheimnis herstellt. Allenfalls Medien haben Termine mit ihm; ihn zu besuchen, gestaltet sich als schwierig. Die Umstände einer Medienbegegnung aber haben künstlich und aufwendig zu sein; der Zeitdruck des Vielbeschäftigten ist nachgerade Voraussetzung.

 

 

 

 

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