Der Riese auf Reisen

KLEINE GESCHICHTE VOM RIESEN

Nicht weit von hier gab es einen Riesen, der alleine im Wald wohnte. Er war auf Wanderschaft in dieser Gegend vorbeigekommen und es gefiel ihm so gut, dass er beschloss, eine Weile zu bleiben und sich ein kleines Haus zu bauen und Freundschaft mit der Familie vom nahen Bauernhof zu schliessen. Es gab nur ein kleines Problem: Seine Größe! So ist das nun einmal mit Riesen, dass sie etwas größer als die anderen sind. Und das ist doch für die kleinen Menschen manches Mal etwas ungewöhnlich, wenn sie es mit so großen Wesen zu tun haben. Für den Riesen übrigens auch. Für ihn war das auch ganz und gar nicht einfach! Alles um ihn herum war nun einmal viel kleiner als er. Die Häuser, die Wege, die Tiere. Wenn er sich streckte und seine Hände in den Himmel hielt war er bestimmt so groß wie eine Straßenlaterne. Glücklich, so groß und stattlich gewachsen zu sein, genoss er einen vorzüglichen Ruf in seiner Riesen-Heimat. Aber hier war das natürlich etwas anders. Der Riese gehörte übrigens zu den guten Riesen, die freundlich und gutmütig sind und auch den Menschen gegenüber war er wohlgesonnen. Er war ja so neugierig und wollte die Welt kennenlernen! So sagte er eines Tages zu seiner Familie in seinem Land Auf Wiedersehen und zog von dannen. Riesen sind wie die Menschen: sie wollen die Welt entdecken. Nur dass sie einfach etwas größer sind und natürlich viel stärker sind!

 

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Der Riese hatte sich ein schönes Plätzchen gesucht, nahe am See und sofort angefangen, ein gemütliches Plätzchen für sich zu bauen. Er war zufrieden mit seinem Tageswerk. Hier konnte er erst mal bleiben. Zu Essen wird sich alles finden. Am Abend ging er erst einmal baden und genoss den schönen Sonnenuntergang am Himmel. Aber ein bisschen langweilig war ihm schon, also beschloss er, schon einmal bei dem Bauernhof in der Nähe vorbei zu schauen, ohne die Menschen zu erschrecken. Es war ja schon spät und alle waren in dem schönen kleinen Haus. Er schaute kurz durch die Fenster und sah die Familie beim Abendbrot. Keiner bemerkte ihn.

 

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Tagein tagaus zog der große Riese durch sein neues Reich. Am liebsten war er draußen, streife durch die Wälder und Wiesen und schaute sich alles genau an. Er liebte die Vögel am Himmel und träumte auch manchmal davon, einfach davon zu fliegen. Wie einfach das doch aussieht! Wenn er Lust zu spielen hatte, jagte er den Kühen auf der Weide nach bis sie nicht mehr konnten und genug vom vielen Rennen hatten! Oder er sammelte schöne Steine am Fluss. Dann baute er große Steinburgen oder er vergnügte sich beim Klettern in den Bergen. Es gab also genug zutun.

Der Bauer war schon mit seiner Pflug-Maschine auf dem Feld und verrichtete sein Handwerk. Aber was war das? Der Bauer stutze und schüttelte den Kopf. Die eine Hälfte seines Feldes war schon umgepflügt und fertig für die Saat! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, dachte sich der Bauer und wollte der Sache auf den Grund gehen. Er lief umher und suchte sein Feld ab. Da entdeckte er an einer kleinen Stelle einen riesenhaften Fußabdruck! Das war es also. Der Bauer war schlau und hatte schon von den Riesen gehört, die den Menschen helfen. Er beschloss, den Riesen zu suchen und ihm ein Geschäft vorzuschlagen.

Der kleine Riese machte gerade Mittagspause und lag ausgestreckt auf der herrlich grünen Wiese. Die Sonne kitzelte um seine Nase herum und er träumte gedankenversunken von neuen guten Taten. Da tippte ihn etwas an seine Schulter. Waren das die Schafe, die ihn zum Spielen auffordern wollten? Nein, es war der Bauer von dem nahen Bauernhof, der ihn unter seinem großen Strohhut etwas schüchtern anschaute. „Guten Tag, Riese. Vielen Dank, dass Du mir bei meinem Feld geholfen hast. Zunächst hatte ich keine Antwort darauf, aber als ich Deinen großen Fußabdruck sah, wußte ich, dass es Dich gibt. Ich habe Dich gesucht und nun gefunden.“ Der Riese richtete sich langsam auf, streckte sich wieder ein bisschen und lächelte freudig in seinen Bart. Da sprach der Bauer weiter: „Sag Riese, ich will Dir ein Geschäft vorschlagen. Du hilfst mir bei meiner Arbeit und ich biete Dir meine Tochter zur Frau an. Was hältst Du davon?“

Mit seinem klugen Verstand dankte der Riese dem Bauern und antwortete: „Bauer, ich helfe Dir gerne noch ein bisschen, aber ich muss bald weiterziehen. Ich möchte die Welt kennenlernen und vielleicht gibt es auch noch andere Menschen, denen ich helfen kann.“ Der Bauer schien bekümmert, hatte er sich doch schon so gefreut, dass ihm seine schwere Arbeit auf dem Feld bald leichter wird. Er sagte dem Riesen, dass er als Dank noch eine Überraschung für ihn habe. „Aber lieber Bauer, ich bin doch ein Riese und habe meine Zauberkraft. Mach‘ Dir doch keine Mühe, ich weiß, wie beschwerlich das Bauernleben ist. Ich freue mich, wenn ich jemandem helfen kann.“

So schnell wollte der Bauer noch nicht aufgeben und lud den Riesen zum Hof ein, damit er seine Familie und seine hübschen Töchter kennenlernt. Der Bauer wollte mit einer List versuchen, den Riesen doch noch umzustimmen. Der Bauer war ein guter Mensch und hatte keine bösen Absichten. Aber eine kleine List muss manchmal sein.

 

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Der Riese willigte ein und versprach, den Bauern und seine Familie zu besuchen. Der Bauer wiederum machte sich auf den Weg und freute sich über sein neues Glück.

Als der Riese nach dieser Zusammenkunft mit dem Bauer zurück zu seinem Plätzchen im Wald schlenderte, brummelte er etwas missmutig seine Zauberformel auf und wurde klein. Mit jedem Schritt schrumpfte er ein kleines Stück, bis er bei seiner Lagerstätte angekommen war. Wie fiel es ihm schwer, so klein zu sein! So fühlen sich also die kleinen Erdenbürger, dachte er und war froh, dass er ja eigentlich riesengroß war. So kam es, dass er nicht einmal seine Abendgymnastik machen konnte. Baum-Weitwurf. Was sonst spielend leicht für einen Riesen ist, war nicht zu schaffen. Es ging einfach nicht. Enttäuscht hüpfte er wenigstens von einem auf das andere Bein und lief um das riesengroße Haus herum, was er sich ja gebaut hatte. Wie groß alles nur war! Aus dieser Froschperspektive macht doch ein Riesenleben gar kein Spass, dachte er. Für die Einladung beim Bauern wollte er sich noch etwas waschen und ging wieder zum Fluss. Er wusch seine Füße, sein Gesicht und struppelte sein verzaustes Riesenhaar zurecht. Als er in den Wasserspiegel schaute, blickte ihn jemand ganz anderes an! Sein langer Zauselbart war weg, seine Haut ganz weich und sein Gesicht jugendlich frisch. Da erinnerte er sich an seine Schuljahre zurück und dachte an den Lehrer, der den Riesenkindern die Zauberformeln beigebracht hatte. „Geht vorsichtig mit den Zaubersprüchen um! Denkt daran, dass ihr Euch zwar kleiner machen könnt, aber nur mit Hilfe der Riesenwurzeln wieder wachsen könnt,“ trichterte der Lehrer seiner kleinen Riesenschulklasse ein. Aber das war ja schon so lange her. Wie war das noch einmal mit den Riesenwurzeln? Angestrengt grübelte der gute Riese vor sich hin. Es wird mir schon wieder einfallen, dachte er.

 

Frohgemut und von einer freudigen Erwartung erfüllt machte er sich auf den Weg zu dem Bauernhof. Aber auch das war nicht so leicht. Hatte er ungefähr fünfzig Riesenschritte zu dem Hof zurücklegen müssen, waren es nun Hunderte! Es quälte ihn schon ein bisschen, so klein zu sein.
Der Bauer hatte seiner Frau von der Zusammenkunft mit dem Riesen erzählt und nun wollten sie zusammen dem Riesen zu Ehren ein schönes Fest ausrichten. Die Kinder zogen ihre schönsten Kleider an und die Frau deckte die große Tafel im Garten. Die Kinder waren sehr neugierig, wie denn ein Riese aussieht. Aber ein bisschen unheimlich war es ihnen schon, einen Riesen zu Gast zu haben!
Da bog ein junger Mann um die Ecke des Hauses und begrüßte den Bauern freundlich, der ungläubig fragte, ob er zufällig einen Riesen auf dem Weg bemerkt hätte. Der junge Mann verneinte und da erkannte der Bauer den karierten Schal um den Hals des jungen Mannes und wurde stutzig. „Bist Du etwa der Riese, der mir mein Feld bestellt hat?“ „Nun endlich hast Du mich also erkannt, ich habe mich etwas kleiner gemacht, damit Deine Familie keinen Schrecken bekommt, wenn sie mich sehen.“
Der Bauer wollte doch seine Familie mit dem großen Riesen überraschen und nun kam er mit einem jungen Burschen in den Garten an den Tisch. „Bist Du etwa der Riese?“ fragte der kleinste Sohn des Bauern. Der gute Bauer stellte den Wandersmann seiner Frau und seinen Kindern vor und voller Neugierde zupften die Kinder an den Kleidern des Fremden. „Was ist mit Deinen Riesenkräften“, fragte der Bauer. „Es ist doch einfacher Bauer, wenn wir hier an Deiner Tafel dieselbe Größe haben. Wenn ich wieder groß werden will, muss ich in Ruhe ein bisschen grübeln und meine Zauberformel sprechen. Dann sollte es klappen mit meiner Verwandlung.“

 
So verbrachten sie alle zusammen einen schönen Abend bei gutem Essen. Jetzt hatte der Riese die Familie des Bauern kennengelernt und war sehr glücklich, so gute und tüchtige Menschen getroffen zu haben. „Es ist spät und ich habe noch einen weiten Weg vor mir. Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen,“ sagte der Riese zum Bauern und bedankte sich bei der Frau für das gute Essen.
Der Bauer bot ihm ein Nachtquartier an, aber der Riese wollte in seinem Riesenlager nächtigen. Ein bisschen war es ihm jetzt schon leid, so klein zu sein! „Bauer, ich danke Dir für den schönen Nachmittag und Abend, nun werde ich aufbrechen, mich zieht es weiter. Ich möchte noch mehr von der Welt der Menschen kennenlernen. Aber als Riese kann ich nicht bei Dir bleiben, und ein kleiner Zwerg möchte ich auch nicht mehr sein.“ Der Bauer merkte, dass er den Riesen nicht umstimmen konnte und war ein bisschen enttäuscht, dass der Riese sein Angebot ausschlug. „Schade, dass Du nicht bleiben willst, aber ich kann Dich auch verstehen. Riesen gehören einfach nicht auf einen kleinen Bauernhof.“ So gaben sie sich die Hand und umarmten sich freundschaftlich. Die Kinder winkten dem Wandersmann noch zu, bis er nicht mehr zu sehen war.

 

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Jetzt konnte er wieder Riese sein. Wie schön! Eifrig brummelte er auf seinem Weg in sein Lager seinen Zaubervers auf und mit jedem Schritt wuchs er ein Stück weiter bis er wieder seine volle Größe erreichte. Wie ist es nur gut, ein Riese zu sein, sagte er zu sich.
Am nächsten Morgen zog er in aller Frühe los, um dem Bauern noch einen Gefallen zutun. Er schlich zu dem Bauernhof und reparierte in aller Stille das Dach von der alten Scheune. Dann trieb er noch die Kühe auf die Weide und machte sich wieder auf den Weg.

 
Nun zog es ihn weiter und er kam bei einem Fischer vorbei, der sich mit den großen Netzen rumplagte. Der Fischer saß neben seinem kleinen Fischerboot am Ufer und handwerkte vor sich hin. Der Riese klopfte vorsichtig auf die Holzplanken vom Steg und stellte sich kurzerhand vor. „Guten Tag Fischer, brauchst Du vielleicht Hilfe?“ Auch der Fischer hatte schon von Riesen gehört. Gemeinsam mit dem Fischer hing er die Netze auf die Leinen zum Trocknen. Leichtigkeit. „Ich müsste mehr Fischen fangen, aber sie sind zu weit im Meer draußen, dort wo ich nicht hinkomme!“ Der Riese schaute sich um, suchte das Meer zu erblicken. Es war Abend, der Fischer steckte sich seine Pfeife an und verabschiedete sich vom Riesen. So machte sich der Riese auf zum Meer und stapfte durch den Sandboden. Er wattete durch das Meer und ruderte mit seinen Händen durch die See, bis er gute Fischgründe entdeckte. Die trieb er dann vor sich hin durch den kleinen Fluss zum großen See. Der Fischer wird Augen machen, wie viele Fische der See nun wieder hat, freute sich der Riese ob seiner guten Tat.

 
Auch half er noch einem Maurer beim Hausbau, er stellte Gartenzäune auf, er half dem Schmied bei seiner Tätigkeit, indem er ihm die Zugluft für das glühende Feuer zufecherte, er half der Postbotin, die schweren Pakete auszutragen, er half der Müllabfuhr bei den schweren Ladungen, er stand den Bergleuten zur Seite, die schweren Felsbrocken wegzuräumen.
Und hin und wieder begegnete er anderen Riesen, die auch auf Wanderschaft durchs Menschenreich waren. Dann grüßten sie sich freundlich und freuten sich, einen anderen Riesen zu sehen. Wie viel der Riese nun erlebt und gelernt hatte! Überall war seine Hilfe gerne gesehen. Die Dankbarkeit der Menschen rührte ihn jedes Mal aufs Neue. Aber es war nun einmal nicht sein Reich. Das war nicht seine Heimat. Und er sehnte sich nach seiner Riesenfamilie, nach dem Riesenessen, nach den Riesenliedern und den Riesenspielen. Die Tage gingen dahin und jede Nacht wurde seine Sehnsucht etwas größer. Er hatte genug von den Menschen.

 

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Heimweh bekam er nun, der Riese. Überall sah er die Menschen zusammenleben und wollte nicht mehr alleine durch die weite Welt streifen. Er hatte genug gesehen und wollte wieder unter Seinesgleichen sein. Also beschloss er, sein Wanderleben aufzugeben. Dazu musste er sich doppelt so groß machen und erkannte in der Weite die großen Berge, hinter denen sein Riesenreich lag. Jetzt wußte er die Richtung und freute sich sehr, seine Familie wiederzusehen. Mit seinen Riesenschritten machte er sich auf den Heimweg. Er packte seinen Rucksack noch voller Geschenke, die er finden konnte, um nicht mit leeren Händen nach Hause zu kommen. Auch Riesen freuen sich über Geschenke. Wie heißt es so passend: Überall ist es schön, aber zuhause ist es am Schönsten!

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