„Coole Karre!“ sage ich kurz zum Fahrer und schaue neidisch dem teuren Cabrio-Schlitten mit dem Stern vorne drauf nach, der hier langsam vom Transporter runter rollt, um im Gewimmel der tausenden Autos hier auf dem Gelände langsam und majestätisch zu verschwinden. Der Typ hinterm Steuer wirkt ziemlich entspannt. Wäre ich bestimmt auch, wenn ich das Geld für so ein Auto-Vergnügen hätte. Ich gehe weiter, von tausend Augen irgendwie beobachtet, die ich so von links, rechts, vorne, hinter mir vermute. Denn, was macht man schon hier mit ’ner teuren Kamera? Und dann auch noch Fotografieren. Ein Händler bin ich bestimmt nicht. Aus Polen komme ich auch nicht. Das sieht man wohl. Was will der also sonst hier? Blöde Frage, denke ich. Ich will einfach nur eine kleine Geschichte über diesen Autoplatz schreiben und gute Fotos machen. Aber finde mal einen der Händler, der sich fotografieren lässt! Keine Sau will ein schönes Portrait von sich machen lassen. Oder fast keiner, zumindest. Einen werde ich finden. Soweit bin ich aber noch nicht.
Ich schaue mir also die eingezäunten Anlagen an, schlendere weiter, suche ein paar passende, typische Motive. Was ist denn so typisch für einen der größten Autohändler-Märkte in dieser Stadt? Batterie-Auflader, Wasserschläuche, Reifenberge, kleine Verkäufer-Hütten und Container. Riesige Autotransporter, neugierige Besucher, die durch die Stellplätze wandern, immer das Mobiltelefon am Ohr. Händler, die auf Kundschaft warten. Das ist überhaupt hier mit das Wichtigste, neben den Autos natürlich: Der Draht zur Welt. Die meisten haben wahrscheinlich mehrere Telefone in der Tasche, überall sehe ich die neuesten iPhones. Autos: Nebensache!
Ich treffe Martin, einen Händler aus Polen. Bromberg. Ohje, wo ist das denn noch einmal? Ist das nicht hinter Stettin an der Ostsee? Quasi um die Ecke. Vielleicht auch einmal ’ne schöne Autoreise wert, denke ich kurz. Das hier in Berlin ist für ihn wahrscheinlich die „METRO“ des Auto-Westen überhaupt. Total sympathischer Typ, 30 und gut gelaunt. Gerade ist er wieder auf „Einkaufstour“, mit seinem Fahrer zusammen. Langsam kommen wir ins Gespräch. Zwei bis drei Autos holt er sich einmal in der Woche ab. Nicht schlecht. Muss ja brummen sein Geschäft im Osten von Europas Norden. Autohändler und Mechaniker ist er. Er kauft gerne französische Marken, aber auch mal einen deutschen, oder einen Volvo, die müssen dann aber top sein. Und dürfen keinen Unfallschaden haben. Was er denn so ausgibt, will ich gerne wissen. Ja, 10.000 EUR kann das schon sein. Bar, versteht sich. Hier ist ein schöner Kombi, der ihn interessiert. Gängige Fragen, Baujahr, Kilometer, Motor. Der Händler hat den Schlüssel parat und übergibt ihn Martin, beantwortet die Fragen souverän. Die Kenner sehen alles mit ihren Habichtsaugen. Wenn der Wagen gepflegt aussieht, Motor an, Haube auf, noch einmal Prüfung. Vielleicht kauft er ihn. Ich trolle mich etwas weiter, denn dann wollen die Händler doch lieber unter sich sein.
Hier geht es ganz gemächlich zu, keine Hektik oder Unruhe. Ab und zu hört man eine Stimme, manchmal ein Motor, der aufgeschreckt aus seinem Tiefschlaf geweckt wird. Ansonsten rasseln hier nur die großen Transporter durch die engen Gassen und bahnen sich geschickt und geübt ihren Weg nach drinnen oder zur Straße. Dann kann es allerdings schon einmal dauern, wenn hin- und her manövriert werden muss, oder die Autos doch dicht an dicht gedrängt durchs Nadelöhr in die Freiheit wollen. Strategisch nicht schlecht, es gibt nur einen Zugang auf das Gelände. Hat man gleich alles gut unter Kontrolle. Ein Händler erzählt mir, dass das Gelände der Stadt gehört und verpachtet wird. Und die Händler zahlen natürlich auch noch für ihre Stellplätze. Ich frage, ob es hier immer so ruhig zugeht. Der Händler nickt sofort und bestätigt, dass es hier meist recht friedlich zugeht. Ab und zu würde zwar ein Käufer jammern oder sich beklagen, wenn er sich über den Kauf ärgert, aber schlimme Sachen wären nicht passiert. Dass hier schon mal was passiert ist, wissen alle: Polizei und Zoll überprüfen gerne solche Plätze und sorgen für größtmöglichen Unmut bei den Händlern. Kann man verstehen. Ich möchte mir ja auch nicht jede Woche in die Papiere schauen lassen.
Durch den Autobahnbau direkt neben dem Gelände kommt jede Menge Staub und Dreck rüber, schimpft der Mann. Er könne jede zwei Stunden den Schlauch rausholen und die Autos waschen. „Der Wasserverbrauch ist glatt doppelt so hoch wie sonst“, sagt er augenzwinkernd und nickend. Ich denke, jaja, als ob das hier der Vorgarten von Queen Elisabeth ist, außer staubigen Schotter und Sandgrund kann ich hier nicht viel anderes entdecken. Ich lächle zurück und frage weiter, 80 Prozent seiner Käufer kommen aus Polen, Tschechien, Litauen, Lettland, Ukraine, Osten halt. Naja, und dann verkauft er auch ganz gerne noch an Händler aus Afrika. Das sind alles Stammkunden sagt er. Hat man meist keinen Stress, die nehmen die Autos und Du hast das Bare. Die Preise, die Preise sind schlecht, sagt er. Aber klar, man kann auch noch was verdienen. In Polen werden die Autos richtig gut aufgemöbelt und wieder in Schuss gebracht, falls was ist. Die dortigen Preise und Löhne erlauben das. Und dann, dann kann das Auto fast wie neu verkauft werden. So funktioniert der Markt. Und, so hat irgendwie jeder etwas davon. Nennt man Kreislauf.
Die Deutschen kaufen hier selten ein, die wollen eine Garantie und die wollen meist keine Autos mit über 150.000 Kilometer unter der Haube. Und ich denke mir, man, es gibt sowieso viel zu viele Autos auf dieser Welt! Wohin nur mit all dem Schrott und Blech und Stahl, Getriebe, Schläuche, Motoren, Elektrik? Nun, davon lebt das Geschäft, dass sich also doch noch immer und irgendwo auf diesem Planeten einer findet, der es gebrauchen kann. Wahnsinn. Aber so passiert es, dass unsere Autos nach ein paar Jahren irgendwo tausende Kilometer weit weg auf dem afrikanischen Kontinent munter weiter düsen. Und wenn dann Schluss ist, was passiert dann? Dann wird jedes Einzelteil ausgebaut und in irgend etwas anderes Altes oder Neues reingeschraubt. Ich sage ja, Kreislauf.
Wer bewegt sich also auf dem Gelände? Händler, Verkäufer, Käufer und ihre Fahrer. Eigentlich übersichtlich. Die Mehrzahl der Verkäufer kommt aus dem arabischen Raum, auch aus Nordafrika, Tunesien, und solchen Ländern südlich von Europa. Deutsche sind hier ziemlich selten. Aber alle, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, sprechen ein sehr gutes Deutsch. Ist ja auch klar, die Verkaufsgespräche wickeln wahrscheinlich die meisten auf Deutsch ab. Wie das so beim An- und Verkauf ist: Es ist einfach Erfahrung und natürlich immer wieder ein bisschen Glückssache, dass man kein Montagsauto erwischt. Die meisten wollen Autos mit Baujahren über 2007. Und viele achten auf die Motorleistung und Größe: Motoren bis 2 Liter sind gut, darüber wird es wohl in Polen teuer mit Versicherung, Zoll und Steuer, wie man mir sagt. Aha, schon wieder was gelernt.
Hassan ist seit zwanzig Jahren in Deutschland und seit 2008 auf dem Platz. Sein Hof ist randvoll gefüllt mit allen möglichen Automarken. Über 30 Autos kann er auf seinen Platz stellen, aber dann ist er wirklich gerammelt voll. Dann passt echt keine Zehenspitze zwischen die Stoßstangen. Was mir sofort aufgefallen ist, hier sind echte Park- und Manövrierkünstler am Werk. Hassan raucht eine nach der anderen und spielt mit seinem Telefon in der Hand. Hin und wieder steht er hinter seinem riesigen Schreibtisch auf, geht kurz raus und gibt Kennzahlen über die Fahrzeuge in seinem Fuhrpark an die interessierten Käufer. Ob ich jetzt ein Foto von ihm machen kann? Nein, erst muss ich zum Friseur, das geht jetzt nicht. Nein, auf keinen Fall! Höflich aber bestimmt also wieder eine Absage. Ich mache noch eine Aufnahme von seinem Container und ziehe weiter. An einem arabischen Imbissstand komme ich vorbei. Sieht gut aus, was einem hier für den Magen angeboten wird. Aber auch die Jungs hinterm Schalter und am Drehspiess wollen nicht fotografiert werden. Ob ich denn eine Genehmigung hätte. Ich, ja klar: Meine. Wer kein Foto haben will, selber Schuld. Dann wird er auch nicht geknipst. Wird respektiert. Wirklich gute Gesichter. Hätte ich gerne gezeigt. Und ich bin nicht der schüchterne Typ: Ich frage immer, wenn ich auf Leute zugehe. Fotos mit starkem Teleobjektiv ist nicht so mein Ding. Ich bin ja nun mal kein italienischer Paparazi! Ich bin hier auf einem riesigen Auto-Umschlagplatz in Berlin, möchte ich meinen.
Aber, so richtig schöne Autos sieht man hier echt selten, alles nur absolut gängige, undefinierbare Standardautos, eins gleicher als das andere, die Japanischen kann man ja sowieso nicht mehr auseinander halten, aber auch die neuen plumpen Kleinwagen, alles silber, eintönige Einfarbigkeit. Aber scheint zu laufen, sonst wären sie ja nicht hier. Kein schöner alter 280er von 1970 oder ein alter 635i aus den Achzigern. Fehlanzeige. Etwas Enttäuschung steigt in mir Autoliebhaber dann doch auf. Ich will gerade den Heinweg antreten, als ich dann doch unverhofft die große Mercedes Oben-Ohne-Dame vom Anfang wieder entdecke. Ich denke, ok, einen Versuch noch, einen Händler zu finden, der sich gerne fotografieren lässt. Ich frage mich also durch und lande bei einem Mitte Dreizigjährigen. Wie ich schon meinte, entspannter Typ Mensch. Ich beglückwünsche ihn zu seiner guten Kiste und sage ihm, dass sein Auto hier ja nun nicht richtig reinpasst. Er sagt: “Aber klar, doch, den werde ich schon los.” „Mit was darf ich denn anfangen zu bieten?“ frage ich neugierig. Geahnt hatte ich es ja schon, aber die Hälfte von so einem hunderttausend Euro Cabrio will er schon noch gerne haben. Naja. Geld hat man, oder man hat es nicht. Er bietet mir sofort eine eisgekühlte Coke aus seinem Kühlschrank in seinem Verkaufsraum an und wir kommen ins Gespräch, er kommt aus dem Irak und lebt seit 1995 hier in Deutschland. Ich zeige ihm meine Webseite auf seinem 6er iPhone und dann, dann endlich darf ich meine zwei drei Portraits nach langem Bitten machen, natürlich vor dem schwarzen Biest mit -keine Ahnung – 300 Ps unter der Haube? Morgen fährt er selber nach Polen und hat heute noch viel zu tun, er hat keine Zeit mehr, aber er meldet sich mal, dann kommt er mit einem Lamborghini, natürlich auch zum Fotos machen. Schmunzel.
Ich verlasse diese Geschäftswelt und gehe den kleinen Weg zur Hauptstraße hoch, die Autotransporter stauen sich vor der Einfahrt. Gut, dass draußen eine Baustelle ist: da stehen nun mindestens fünf oder sechs Autotransporter und warten auf ihre Fracht und Fuhre. Ein Fuhrmann blickt ganz nachdenklich zu mir rüber. Ich hebe die Kamera zum letzten Gruß und mache ein Portrait. Jetzt habe ich wohl doch alle: einen Händler, einen Käufer, einen Fahrer. Geschafft.